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Knapp vier Jahre nach dem Brexit: Neue britische Regelungen erschweren Unternehmen den Alltag

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Mit dem Austritt aus der EU wollte Großbritannien lästige Gesetze und Normen loswerden und führt nun neue ein. Das stiftet Verwirrung bei Unternehmen und kostet Geld.

London – Für viele Menschen, die beim Brexit-Referendum 2016 dafür gestimmt hatten, die EU zu verlassen, gehörten die Regeln und Normen der EU Umfragen zufolge zu den wichtigsten Gründen für ihre Entscheidung. Auch Politikerinnen und Politiker hatten versprochen, dass der Alltag in Großbritannien nach dem Verlassen der EU wieder einfacher würde. Laut einem Bericht der Zeitung The Guardian steht das Land vier Jahre nach Inkrafttreten des EU-Austritts nun vor neuen eigenen Normen, die Unternehmen hohe Zusatzkosten verursachen.

Als Beispiel hat die britische Zeitung dazu etwa mit einem Vertreter des Isoliermaterial-Herstellers Recticel mit Hauptsitz in Belgien gesprochen, der auch im Norden Englands zwei Werke betreibt. Laut dessen Darstellung hat der Brexit ausgerechnet in dieser Branche ein langwieriges Hin und Her verursacht und zu einiger Verwirrung geführt. Nun ist klar, dass nach dem EU-Austritt bald eine neue Produkt-Kennzeichnung zum Standard werden soll, die den Vorgaben des auf EU-Vorschriften basierenden CE-Kennzeichens fast eins zu eins entspricht. Der Unterschied: Die Rezertifizierung sei zwar identisch zum Ablauf der CE-Überprüfung, koste aber mehrere Zehntausend Pfund – für jedes Produkt.

Im Handel zwischen Großbritannien und der EU hat der Brexit einige Bestimmungen erschwert.
Im Handel zwischen Großbritannien und der EU hat der Brexit einige Bestimmungen erschwert. (Symbolfoto) © Glyn Kirk/AFP

Vier Jahre nach dem Brexit: Neue UKCA-Kennzeichnung macht Unternehmen Sorgen

Eingeführt worden ist das sogenannte UKCA-Kennzeichen, das die bisherige CE-Kennzeichnung ursprünglich zu Ende 2022 ablösen sollte, bereits Anfang 2021 nach Ende der Übergangsfrist. Seitdem wird in verschiedensten Branchen über den Verbleib bei CE-Standards diskutiert, die Übergangsphase für CE-Kennzeichen wurde formell um zwei Jahre bis Ende 2024 verlängert. Laut Guardian hat mit dem Ministerium für Wirtschaft und Handel jedoch ein wichtiger Bereich der britischen Regierung im Sommer angekündigt, die zwingende Einführung von UKCA vorerst auf Eis zu legen.

Diese Entscheidung hätte jedoch dennoch keinen Effekt auf die Kennzeichnung des Isoliermaterials, das am Recticel-Standort Stoke-on-Trent, südlich von Manchester, produziert wird. Denn Isoliermaterialien gelten als Baustoffe und würden demnach vom Bauministerium reguliert. Das wiederum habe sich zuletzt dafür ausgesprochen, ab Juni 2025 keine CE-Kennzeichnung mehr zu akzeptieren und zwingt Hersteller nun für den britischen Markt zur Rezertifizierung. Und die soll laut Guardian etwa 35.000 Pfund (ca. 40.000 Euro) pro Produkt kosten. Dazu kommen weitere 14.000 Pfund (ca. 16.000 Euro) für eine erneute Brandschutz-Zertifizierung.

Folgen des Brexit: Schädigung von Wirtschaftszweigen und die Renaissance des Pint

Auch ein Sprecher des Branchenverbands für Isolierungshersteller bestätigte dem Guardian die Problematik und nannte die drohenden Neuerungen und deren Konsequenzen „tiefgreifend und extrem schädlich“. Fachleute warnen indessen bereits davor, dass Neuerungen wie diese die britische Wirtschaft weiter schwächen könnten. Vor dem Hintergrund, dass ein Gros der Wählenden im Land durch die Krise steigender Lebensunterhaltskosten eine Erholung der Wirtschaft und ein Rückgang der Inflation als klare Priorität sieht, könnte die Tory-Regierung unter Rishi Sunak dieses Risiko damit als schädlich für ihre mögliche Wiederwahl bewerten.

Ein weiteres Argument der Brexiteers vor der Abstimmung zum Brexit waren auch EU-Vorgaben, nach denen alte britische Maße – etwa das 568 ml zählende Pint – einen zu niedrigen Stellenwert gehabt hätten. Doch auch hier deutet ein aktueller Guardian-Bericht an, dass die Folgen des Brexit nicht der Idealvorstellung vorm Referendum entsprechen.

Wein und Sekt in Pint-Flaschen: Großbritanniens Weinbranche übt Kritik

Auch in diesem Fall werde es wohl an der Umsetzbarkeit scheitern, erklärten zuletzt Fachleute aus Weinindustrie und Gastronomie. Das Wirtschaftsministeriums hatte zuletzt angekündigt, den Wein- und Sektverkauf, wie zu Churchills Zeiten, bald auch in Pint-Flaschen zu erlauben. Minister Kevin Hollinrake sprach dabei sogar von einer „neu eröffneten Chance“, um die es beim Austritt aus der EU schließlich gegangen wäre.

Auf Nachfrage bei Weinproduzenten äußerten viele jedoch wenig Interesse an der neuen Vorgabe, die auch 200-ml-, 500-ml- und Pint-Größen für Weinflaschen erlaubt. Die Begründung: Abgesehen von der wenig nachhaltigen Idee noch mehr unterschiedliche Flaschen herzustellen, reife Wein auch besser in größeren Flaschen, was sich letztlich auch auf den Geschmack auswirke. Laut Branchen-Insidern haben die Weinproduzenten das der Regierung vor Hollinrakes Ankündigung auch so mitgeteilt. (saka)

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